Die Bekleidungsindustrie in Weißenburg

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Ein Teil der Fertigung der Fa. Edelstein, Weißenburg. Die Aufnahme von 1963 zeigt einen Maschinenpark, der damals dem modernsten technischen Stand entsprach.

Weißenburg war bis etwa Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts ein bedeutendes Zentrum der Bekleidungsindustrie. Schon vor dem 2. Weltkrieg hatte die Textilwirtschaft hier eine große Bedeutung. Vor allem die Leonische Industrie war hier heimisch. Die Firmen Gebrüder Aurnhammer, Anselm Schmuck Wünsch und eine Vielzahl kleinerer Firmen, die allerdings alle nicht mehr existieren, sind hier zu nennen. Heute arbeitet nur noch die Firma Bender GmbH & Co in diesem Bereich.

Nach 1945 nahm die Bekleidungsindustrie in Weißenburg einen enormen Aufschwung. Das war unter anderem auch den Betriebsgründungen durch die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge zu verdanken. Von etwa 1950 bis Ende der 60er Jahre kann man von der Blütezeit der Bekleidungsindustrie sprechen. Noch 1964 lieferte die Firma E. Roth, Herrenbekleidung, die Sakkos für die deutsche Olympiamannschaft zu den Olympischen Spielen in Tokio. Seit etwa 2000 existiert die Textilwirtschaft in Weißenburg praktisch nicht mehr. Sie wurde im Laufe der Zeit durch die Kunststoffindustrie abgelöst.

Zunächst soll kurz eine notwendige Abgrenzung der Begriffe Textilwirtschaft, Textilindustrie und Bekleidungsindustrie aufgezeigt werden. In Anlehnung an die Dissertation „Die Krise der deutschen Textilwirtschaft als Qualitätsproblem“ von Horst Spitschka kann diese wie folgt unterteilt und beschrieben werden.

Textilwirtschaft ist der Oberbegriff. Die Textilindustrie umfasst alle Betriebe, die die Grundmaterialien für die die Produktion von Bekleidung, genauer Stoffe aller Art und Verwendung, herstellen. Die Firma Gebrüder Scheffel, einst ansässig in der Industriestraße, fertigte damals in bescheidenem Umfang Möbelstoffe. Die Bekleidungsindustrie stellt die Produkte für den unmittelbaren Konsum her. Dabei ist zu unterscheiden in Damenoberbekleidung (DOB), Herrenoberbekleidung (HAKA) und die Strick- und Wirkwarenindustrie.

Die Zuliefererindustrie für die Produktion fertigt z.B. Reißverschlüsse, Nähfäden, Knöpfe, Einlagestoffe, Futterstoffe (Tafte), Borden, Litzen, Bänder, u.a.m. Dazu gehörten die ehemals in der Augsburgerstraße tätige Firma Hermann (Bänder für Reißverschlüsse), die in der Nähe des Weißenburger Seeweihers ansässige Firma Oechsler (Knopffabrikation) und die oben erwähnten Firmen der Leonischen Industrie.

In Weißenburg bestand die Bekleidungsindustrie in bescheidenem Umfang schon vor 1945. Hier sind die Firmen Erich Roth (Standort Jahnstraße) und Karl Lehnstaedt (Betrieb in der Holzgasse) zu nennen, die beide 1937 gegründet wurden. Durch den Zuzug der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge stieg die Bevölkerungszahl Weißenburgs von 1939 mit 8.760 Einwohnern auf 13.807 im Jahr 1950.

Auf Grund des großen Bedarfes an Bekleidung nach dem Krieg stieg die Mitarbeiterzahl der in Deutschland schon tätigen Bekleidungsfirmen stark an. Beide genannten Firmen dürften in ihrer besten Zeit nahezu 500 Frauen und Männer beschäftigt haben. Dazu kamen die Firmen, die durch die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge gegründet worden waren.

In der nachstehenden Tabelle wird die Maximalzahl an Beschäftigten genannt:

Firma Produktionsbereich Herkunft Gründungsjahr Beschäftigte
Barnert Karl Bademoden Sudetenland 1946 450
Bartel Walter Stickereien Sudetenland 1949 50
Berghausen und Richter DOB Sachsen 1948 25
Drischel Rudolf DOB Schlesien 1948 120
Edelstein GmbH, Kleider- und Wäschefabrik DOB Sudetenland 1948 180
Neuburger Handschuhe Sudetenland 1948 45
Scherb Helene DOB Sudetenland unbekannt 20
Strobel Hans Bettwäsche Sachsen 1949 15

Das waren 905 beschäftigte Personen. Nicht dazu gerechnet sind die außerhalb von Weißenburg tätigen Zwischenmeisterbetriebe, die für diese tätig waren. Bei der Edelstein Kleider- und Wäschefabrik waren dies 70 bis 80 Personen.

Eine Sonderstellung ist der Firma Regent zuzuordnen. Diese wurde zunächst als Süddeutsche Bekleidungsindustrie von den polnischen Juden Dr. Aisenstadt und Barig 1945 gegründet. Diese stellten die Firma von der Hemdenproduktion auf die Herstellung von exklusiver Herrenmode um. Mit einem Zweigbetrieb in Mörnsheim bei Eichstätt wurden etwa 450 Personen beschäftigt. In Weißenburg dürften es 300 Beschäftigte gewesen sein.

Zählt man die in diesen Ausführungen genannten Beschäftigungszahlen zusammen, so kommt man auf mindestens 2200 Frauen und Männer, die durch die Bekleidungsindustrie zu Arbeit und Brot kamen.

Quellen

Abschließend ist zu vermerken, dass es, da die Betriebe alle verschwunden sind, heute praktisch nicht mehr oder nur sehr schwierig ist, genaues Zahlenmaterial zu beschaffen. Der Verfasser dieses Beitrages, Horst Spitschka aus Ellingen, hat die Betriebe bzw. deren Inhaber alle persönlich gekannt. Es war ihm möglich, ehemalige Mitarbeiter zu befragen.