Straßennamen mit Bezug zu den Vertreibungsgebieten im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 26. September 2015, 19:07 Uhr

Einige Straßenschilder im Haus Kaaden

Am Ende des Zweiten Weltkrieges und den ersten Nachkriegsjahren mussten insgesamt 14 Millionen Deutsche ihre Heimat im Osten verlassen (2 Millionen Menschen fanden dabei den Tod). Diese Heimatvertriebenen und Flüchtlinge waren im Restdeutschland unterzubringen. Da aber die Großstädte stark zerstört waren, mussten viele Betroffene in den Dörfern und kleinen Städten aufgenommen werden, so auch in unserer Gegend.

Bevölkerungsstatistik

Die Bevölkerungsstatistiken von 1939 und 1950 weisen folgende Zahlen auf:

Landkreis Gunzenhausen

1939: 31.211 E.; 1950: 45.637 E., davon 11.932 Vertriebene (26%)

Landkreis Weißenburg

1939: 27.952 E.; 1950: 37.212 E., davon Vertriebene 9.892 Vertriebene (25%)

(Kreisfreie) Stadt Weißenburg

1939: 8.760 E.; 1950: 13.144 E., davon 3.321 Vertriebene (24,1%)

Die Wohnungsnot war in den ersten Jahren riesengroß. So begann nach der Währungsreform 1948 der Bau von Wohnungen zur Unterbringung der Heimatvertriebenen. Dabei gab man den neu entstandenen Straßen gelegentlich Namen mit Bezug zur bisherigen Heimat der Neubürger.

Orte mit Straßennamen mit Bezug zu Heimatvertriebenen

Dittenheim

(1939: 747 E., 1952: 1.115 E.): Sudetendeutsche Str.

Sudetenlandk. NEW.jpg

[1]

Gunzenhausen

(1939: 5.940 E., 1952: 9.140 E.): Breslauer Str.[2], Hermann-Löns-Weg[3], Ignaz-Philipp-Semmelweis-Str.,[4], Rudolf-Virchow-Str.[5], Schlesierstr.[6], Sudetendeutsche Str., Tachauer Str.[7], Weiperter Str.[8]

Weiperter Str. NEW.jpg

Langenaltheim

(1939: 1.669 E., 1952: 1.966 E.): Senefelderstr.[9]

Markt Berolzheim

(1939: 955 E., 1952: 1.449 E.): Schlesierstr., Sudetenstr.

Muhr am See

bis 1972 zwei selbstständige Gemeinden:

  • Altenmuhr (1939: 781 E., 1952: 1.287 E.)
  • Neuenmuhr (1939: 254 E.; 1952: 388 E.): Schlesierstr., Sudetenweg

Pappenheim

(1939: 1.585 E., 1952: 2.491 E.): Buchauer Platz[10], Schlesienstr.

Pleinfeld

(1939: 1.377 E., 1952: 2.357 E.): Breslauer Str., Danziger Str.[11], Kaadener Str.[12], Saazer Str.[13], Schlesierstr., Sudetenstr.

Solnhofen

(1939: 1.187 E., 1952: 1.670 E.): Senefelderstr.

Treuchtlingen

(1939: 4.660 E., 1952: 6.362 E.): Adalbert-Stifter-Str.[14], Buchenländer Str.[15], Eichendorffstr.,[16], Josef-Lidl-Str.[17], Schlesierstr., Sudetenlandstr. – Senefelderschule[18]

Weißenburg

(1939: 8.760 E., 1952: 14.097): Adalbert-Stifter-Str.[19], Anton-Schnabl-Weg

Anton-Schnabl-Weg NEW.jpg

[20], Banater Weg[21], Danziger Str., Egerlandstr.[22], Eichendorffstr., Erwin-Schulhoff-Str.[23], Gerhart-Hauptmann-Str.[24], Kaadener Str.[25], Leppaweg[26], Schlesische Str., Seligerstr.[27], Sudetenlandstr.[28], Wiesentalstr.[29]

Bei den kursiv geschriebenen Straßennamen stand die Herkunft des Namengebers nicht im Vordergrund.


Schließlich müssen Straßennamen genannt werden, die ihre Entstehung der Bautätigkeit von Vertriebenen zu verdanken haben und die als Straßennamen mit verdecktem Bezug zu bezeichnen sind:

Im Falle der Straße Neues Heim im Osten Weißenburgs haben sich Ende der 1950er Jahre Bauwillige – überwiegend Heimatvertriebene – zur Baugemeinschaft „Neues Heim“ zusammengeschlossen. Sie errichteten dort mit viel Eigenleistung ihre Häuser.

Zum anderen dokumentiert der Name Neue Gasse in Weimersheim die Siedlungstätigkeit am Ortsrand mit nicht-landwirtschaftlichen Häusern, die vorwiegend von Vertriebenen errichtet wurden.

Die Neusiedlerstraße im Pappenheimer Ortsteil Bieswang ist nicht als typische Benennung für die Ansiedlung Heimatvertriebener anzusehen, vielmehr wurden hier die Grundstücke von Bauwilligen aller Bevölkerungsschichten in Anspruch genommen.

Neuer Weg und Siedlungsstraße in Altenmuhr liegen neben Schlesier- und Sudetenstraße; sie waren der Anfang der Siedlungstätigkeit nach 1948.

siehe auch

Fußnoten

  1. Sammelbezeichnung für die 3,3 Mill. Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien. Durch die Vertreibung 1945/46 kamen 1,025 Mill. nach Bayern. Dittenheim übernahm 1983 die Patenschaft für Ober- und Niederwildgrub, Kr. Freudenthal im Ostsudetenland, ohne direkte Straßenbenennung.
  2. Der Name der schlesischen Landeshauptstadt (1939: 630.000 deutsche Einw.) mit seinem herrlichem gotischen Rathaus steht stellvertretend für ganz Schlesien; polnisch Wrocław.
  3. Dichter aus Westpreußen (1866-1914); Lyrik und Prosa, die von der Natur (vor allem der Heide) geprägt ist.
  4. Deutscher Arzt (1818-1865) aus Ofen (heute Budapest), erfolgreicher Bekämpfer des Kindbettfiebers.
  5. Berühmter Arzt (1821-1902) aus Pommern (Zellularpathologie) in Berlin (an der Klinik Charité).
  6. Bei der Formulierung Schlesierstr. liegt der Akzent auf den Menschen Nieder- und Oberschlesiens (1939: 36.300 km2, 4,6 Mill. E.), die 1945/46 ihre Heimat verlassen mussten.
  7. Bezirksstadt im südlichen Egerland am Böhmerwald mit einem Schloss. Von hier kam eine größere Gruppe Vertriebener nach Gunzenhausen. (1930: 6.825 Einw., davon 448 Tschechen); tschechisch Tachov.
  8. Stadt im böhmischen Erzgebirge (1930: 11.751 Einw., davon 238 Tschechen); tschechisch Vejprty; Patenstadt von Gunzenhausen seit 1954, siehe auch Erzgebirgsschau und Weiperter Heimatstuben.
  9. Alois Senefelder (1771-1834) aus Prag; Erfinder des Steindrucks mit Solnhofer Kalkschiefer, der auch in Langenaltheim abgebaut wird; Denkmal in Solnhofen bereits 1904; s. a. Fußnote 18.
  10. Städtchen im Egerland bei Karlsbad (1930: 1.782 Einw., davon 84 Tschechen); Patenstadt von Pappenheim; tschechisch Bochov.
  11. Ehemalige Hanse- und wichtige Hafenstadt an der Ostsee (1939: 400.000 E., davon 4 % Polen); 1919 ohne Volksabstimmung vom Deutschen Reich abgetrennt, 1939 wieder an-gegliedert, 1945 Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung; polnisch Gdańsk.
  12. Westböhmische Bezirksstadt an der Eger, historisches Stadtbild (1930: 8.641 Einw., davon 672 Tschechen); tschechisch Kadaň; vgl. Fußnote 25
  13. Bezirksstadt im östlichen Egerland, berühmter Hopfenanbau (1930: 18.100 E., davon 3.156 Tschechen); tschechisch Žatec.
  14. Adalbert Stifter (1805-1868), Dichter (Erzählungen, Romane, Novellen) und Maler aus dem Böhmerwald, geprägt vom klassischen Bildungsideal und der Natur, strebt in seinem Roman Witiko den Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechen an.
  15. Das Buchenland (= die Bukowina), Landschaft am Osthang der Waldkarpaten, heute Südukraine; die deutsche Bevölkerung wurde z. T. während des 2. Weltkrieges vor allem ins Wartheland umgesiedelt und von dort 1945/46 vertrieben.
  16. Joseph von Eichendorff (1788-1857) aus Oberschlesien; bedeutender Lyriker, Epiker und Dramatiker der Romantik; viele seiner Gedichte wurden Volkslieder (z. B. „Wem Gott will rechte Gunst erweisen“; „O Täler weit, o Höhen“).
  17. Josef Lidl (1911 – 1999) hat sowohl in der Kulturarbeit der Vertriebenen gewirkt (z. B. Aufbau der Schönhengster Heimatstuben in Göppingen, Gestaltung der Schönhengster Jahrbücher, Mitarbeit in der Schönhengster Sing- und Spielschar, der Arbeitsgemeinschaft Sudetendeutscher Lehrer u. v. a.) als auch in seiner neuen Heimat (Errichtung des Treuchtlinger Volkskundemuseums, Leitung des Weißenburger Kammerorchesters, Herausgeber des Buches „Im Weißenburger Land“ usw.). Für die Straßenbenennung war aber doch letztendlich die hiesige Arbeit ausschlaggebend. Lidl war u. a. Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande und Treuchtlinger Ehrenbürger.
  18. Die Benennung Senefelder-Schule (kooperative Gesamtschule) geht auf den Vorschlag des damaligen Treuchtlinger Realschuldirektors Johann Zörkler zurück, der aus dem Sudetenland stammte und im Bewusstsein handelte, einen Mann zu ehren, der in Prag geboren wurde.
  19. Auch in Weißenburg war die Anregung des Bayerischen Städteverbandes von 1949 der erste Anstoß für Straßennamen mit Bezug zu den Heimatvertriebenen (1950: 3.381 Personen = 24 % der Wohnbevölkerung der Stadt), Umsetzung aber erst 1955.
  20. Anton-Schnabl-Weg im Weißenburger Ortsteil Kattenhochstatt. Der Neubürger aus Wittingreit im Böhmerwald (1918 – 1989) setzte sich nachhaltig für die Belange seiner neuen Wohngemeinde ein, stellte sich in den Dienst der Dorfgemeinschaft, ging beispielgebend voraus und erreichte viel (z. B. Goldmedaille 1967 auf Bundesebene im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“).
  21. Landschaft an der ungarisch-rumänisch-serbischen Grenze; Ansiedlung Banater Schwaben im 18. Jahrhundert (1910: 2,05 Mill. deutsche Donauschwaben); jene aus dem damaligen Jugoslawien wurden nach 1945 ganz, aus Ungarn zum Großteil vertrieben; die Rumäniendeutschen konnten zunächst bleiben.
  22. Landschaft in Westböhmen an der oberen Eger (1939: 803.000 Deutsche), Zentrum: Stadt Eger. Zunächst war Egerer Straße vorgesehen, dann wurde aber doch dem Landschaftsnamen (am 25. März 1964) der Vorzug gegeben. Die Bitte des „Heimatverbandes der Karlsbader“ vom 09.04.1965, auch nach dem Weltbad eine Straße in Weißenburg zu benennen, blieb jedoch unberücksichtigt.
  23. Erwin Schulhoff, geb. 1894 in Prag, geschätzter Pianist und Komponist, hatte jüdischen Vater, wurde als kämpferischer Sozialist mit Pass der UdSSR 1941 vom NS-Regime verhaftet und in das Internierungslager Wülzburg gebracht, wo er 1942 an TBC verstarb. Dort befindet sich seit 2004 im Burghof seine vom Rotaryclub gestiftete Denkmalsbüste.Siehe auch Gedenkstätten auf der Wülzburg
  24. Dramatiker (z. B. „Die Weber“) und Novellist (1862-1946) aus dem schlesischen Riesengebirge; Nobelpreis Literatur 1912. Benennung der G.-Hauptmann-Str. und der Eichendorffstr. auf Antrag der Landsmannschaft Schlesien, Ortsgruppe Weißenburg, am 19.06.1980. Der Erstantrag (100. Todestag Eichendorffs 1957) eine Straße nach ihm zu benennen, blieb unberücksichtigt.
  25. vgl. Fußnote 12; 1955 erhielt eine neue Straße im Westen der Stadt den Namen Kaadener Straße; s. a. Gedenkstätte im Südfriedfriedhof und „Haus Kaaden in Weißenburg“.
  26. Franz Karl Leppa (geb.1893 in Budweis/Südböhmen, gest. 1986 in Weißenburg) war Lyriker, Erzähler, Böhmerwälder Mundartdichter und Verfasser zahlreicher kultur- und heimatpolitischer Arbeiten über Böhmen und die Sudetendeutschen. Er kam nach der Vertreibung nach Suffersheim, wo auch der Straßenname zu finden ist. Die Straßenbenennung geht auf die Initiative des damaligen Oberbürgermeisters R. Schwirzer (CSU) von 1992 zurück, der umfangreiche Recherchen über Leppa anstellte.
  27. Josef Seliger (1870-1920) aus Schönborn bei Reichenberg, Nordböhmen, sudetendeutscher Sozialdemokrat, österreichischer Reichsrat, Kämpfer für das Selbstbestimmungsrecht. Bei der Eingemeindung von Dettenheim 1972 ergab sich das Problem, dass es jetzt neben der Sudetenlandstraße in Weißenburg in diesem neuen Ortsteil eine Sudetenstraße gab, was zu Verwechslungen führen könnte. Um eine Beziehung zum bisherigen Namen beizubehalten, wurde die Straße in der Amtszeit von Oberbürgermeister Dr. Zwanzig (SPD) nach Josef Seliger benannt.
  28. Nach Rücksprache mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft, OG Weißenburg, wählte der Stadtrat am 22. März 1962 den Namen Sudetenlandstraße statt Sudetenstr.
  29. Benennung nach Böhmisch Wiesenthal im Erzgebirge (1930: 1.107 deutsche, 16 tschechische Einw.); 1920-1938 tschechisch Česky Wiesenthal, ab 1945 Loučná.