Firmengründungen in Weißenburg zwischen 1945 und 1955
Dieser Artikel beschreibt die Firmengründungen in Weißenburg i. Bay. zwischen 1945 und 1955 als Beispiel für die Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nach 1945.
Vorbemerkungen
Weißenburg hat nach dem 2. Weltkrieg einen steilen industriellen Aufschwung erlebt, wie es in seiner Geschichte einzigartig war. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass die im Krieg nahezu unversehrt bebliebene Stadt überdurchschnittlich viele Heimatvertriebene und Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten und der damaligen Sowjetischen Besatzungszone aufgenommen hat. Sie machten 1950 etwa 25 % der Bevölkerung aus.
Während die Veröffentlichungen über die persönliche Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in Weißenburg nach 1945 keine großen Schwierigkeiten bereiteten, gibt es bei der Beschaffung von Materialien im Hinblick auf die wirtschaftliche Aufbauleistung dieses Personenkreises doch große Probleme. Dieses Thema wird in den bisherigen Veröffentlichungen daher oft auch nur kurz behandelt. Das hat verschiedene Gründe. So hatte man zur damaligen Zeit andere Sorgen, als sich um Niederschriften und Statistiken zu kümmern und/oder diese gingen später verloren. Auch führte man ab 1957/58 keine getrennten Statistiken und Aufzeichnungen mehr, da man den Aufbau und Ausbau der Flüchtlingsbetriebe im Wesentlichen als abgeschlossen betrachtete.[1]
Vergessen sind auch diejenigen Personen aus dem Kreis der Heimatvertrieben und Flüchtlinge, die in einheimischen Firmen an leitender Stelle tätig waren und diese zum Teil aufbauten, als wären es ihre eigenen. Stellvertretend soll hier der Name Rudolf Hampe genannt werden. Dieser war Geschäftsführer der Weißenburger Niederlassung der Firma Matthias Oechsler, heute MOS. Es war unzweifelhaft das Verdienst dieses Mannes, den Betrieb nach dem Krieg erheblich ausgebaut und vergrößert zu haben.
Es gibt immer weniger Personen, die diese geschichtlich so bewegte Zeiten erlebt und, was viel wichtiger ist, die Mehrzahl der zu besprechenden Firmen und deren Inhaber persönlich gekannt haben, wie das beim Verfasser dieser Arbeit der Fall war. Auch ist es diesem gelungen in einigen Fällen noch ehemalige Mitarbeiter ausfindig zu machen und durch diese zusätzliche und interessante Informationen zu bekommen. In der Niederschrift sind aber auch viele persönliche Erfahrungen und Erlebnisse wiedergegeben.[2]
Begriffserklärungen
Am 19. Februar 1947 wurde in Bayern das sogenannte Flüchtlingsgesetz erlassen ( Gesetz Nr. 59 über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge ). Dieses legte den Begriff des Flüchtlings fest und zwar zählten dazu ( siehe § 1, Absatz 1, Ziffer 1 ) „Alle Personen deutscher Staats- und Volkszugehörigkeit, welche am 1. Januar 1945 ihren dauernden Wohnsitz außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches nach deren Stand vom 1. März 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus der Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Aufenthalt in Bayern genommen haben“. Das betrifft zum Beispiel die Sudetendeutschen, die den größten Flüchtlingsanteil in Weißenburg stellten. Die Ziffer. 2 regelt den Begriff für alle Personen, die 1945 in den Ostprovinzen östlich der Oder und Görlitzer Neiße beheimatet waren. Hierunter fallen zum Beispiel die Schlesier und Ostpreußen.
Für Weißenburg ist es interessant, dass als Betriebsgründer, neben den Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, auch viele Personen aus der sowjetisch besetzten Zone (SBZ), der späteren DDR, stammten. Diese waren entweder von den Sowjets enteignet worden oder sind im Hinblick auf eine bevorstehende derartige Maßnahme in den Westen geflüchtet. Im Bundesvertriebenengesetz vom 14.8.1957 wird dieser Personenkreis mit dem Begriff „Mitteldeutsch“ beschrieben und gilt für alle Deutschen, die nach dem Krieg aus der ehemaligen DDR oder Berlin (Ost) zugewandert sind, soweit sie nicht zum Personenkreis der Vertriebenen gehören.
Die vorliegende Untersuchung der Betriebe wurde aus praktischen Gründen in zwei große Gruppen eingeteilt. Einmal in die Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten und die mit einer niedrigeren Mitarbeiterzahl. Bei der ersten Gruppe handelt es sich ausnahmslos um Industriebetriebe. Die nachstehend genannten Punkte über die Anlässe zur Betriebsgründung, aber auch die dabei später auftretenden Probleme, gelten allerdings sowohl für die nachstehend beschriebenen 12 Betriebe mit mehr als 10 Mitarbeitern als auch für nahezu alle 360 Personen, die sich in irgendeiner Weise selbständig machten, sei es als Vertreter, Handwerker, Händler u. a. m. Wichtig erscheinen auch die Äußerungen des damaligen Direktors der Landesbank für Aufbaufinanzierung. Danach trat die Epoche der Neugründungen 1953/54 in ihre Konsolidierungsphase und war 1957/58 im Wesentlichen abgeschlossen.[3]
Industriebetriebe mit mehr als zehn Beschäftigten
Durch Befragung von noch lebenden Inhabern, deren Nachkommen bzw. ehemals in den Firmen tätigen Personen konnte die Zahl der maximal in den Betrieben beschäftigten Personen annähernd ermittelt werden. Unter „maximal“ ist zu verstehen: Das Unternehmen hatte folgende Höchstzahl an Beschäftigten in Weißenburg, während es existierte, also nicht bezogen auf ein Datum. Mit der konjunkturellen Erholung der westdeutschen Wirtschaft nahm die Zahl der Beschäftigten nach 1950 sprunghaft zu und es ergaben sich folgende Zahlen:[4]
Firmenname | Produkte | Herkunft der Inhaber | Beschäftigte | Gründungsjahr |
---|---|---|---|---|
Karl Barnert | Mieder-, Bademoden | Sudetenland | 450 | 1946 |
Walter Bartl | Stickerien, Handschuhe | Schmiedeberg/Sudetenl. | 70 | 1949 |
Berghausen & Richter | Damenoberbekleidung | Dresden/Sachsen | 25 | 1948 |
Rudolf Drischel | Damenoberbekleidung | Schweidnitz/Schlesien | 120 | 1948 |
Edelstein; Inh. Kauer, Spitschka | Kleider- u. Wäschefabrik | Luditz/Sudetenland | 180 | 1948 |
Alfred Maschek, später Maschek & Fels, von Firma Alfmeier übernommen | Kunststoffverarbeitung | Sowj. Besatzungszone | 70 | 1948 |
Albert und Wally Neuburger | Handschuhfabrikation | Sudetenland | 45 | 1953 |
Quaas, von Stabilo übernommen | Füllfederhalterfabrikation | Sachsen | 40 | 1948 |
Scharp | Fahrradfabrikation | Sudetenland | 50 | 1955 |
Helene Scherb | Oberbekleidung | Sudetenland | 20 | 1951 |
Gebr. Scheffel, Inh. Walter, Martin und Johannes Otto Scheffel | Weberei und Maschinenfabrik | Grünbach/Vogtland/Sachsen | 30 | 1949 |
Hans Strobl | Bettwäschefabrikation | Plauen/Sachsen | 15 | 1949 |
Gesamtzahl der maximal in Weißenburg Beschäftigten | etwa 1100 |
Bei den genannten Zahlen sind die in Zweig- und Zwischenmeisterbetrieben beschäftigten Personen sowie die Heimarbeiter nicht berücksichtigt. Diese Beschäftigten waren allerdings zum Großteil außerhalb von Weißenburg ansässig.
Heute existiert keiner der Industriebetriebe mehr. Sie wurden entweder geschlossen oder von anderen Unternehmen aufgekauft.
Welche Schwierigkeiten bei der Bearbeitung dieses Themas auftreten können zeigen nachstehende Beispiele:
Die von W. KÖNIG (s. o.) auf den Seiten 169 ff aufgeführten Personen bzw. Firmen gehören nicht zu den hier zu nennenden Firmeninhabern. So die Firma Regent (S. 177), die ursprünglich „Süddeutsche Bekleidungsindustrie“ hieß. Deren Inhaber Barik und Aisenstadt waren als Juden Verfolgte des NS-Regimes (dem Verfasser, Horst Spitschka, persönlich bekannt). Der Inhaber der Weißenburger Süßwaren- und Schokoladenfabrik Walter Kretschmann (s. KÖNIG, S. 144, andere Schreibweise Krecmann, S. 144), war ebenfalls als NS-Verfolgter geführt.[5] Bei der Firma Maschek & Fels war Fels Jude und politisch Verfolgter.[6] Maschek, ein Flüchtling aus dem Warthegau,[7] begann zunächst die Firma Maschek zu gründen und nahm aber schon 1948 Fels als Gesellschafter auf, so dass hier doch von einem Flüchtlingsbetrieb gesprochen werden kann.
Beschäftigte in Kleinbetrieben mit weniger als zehn Beschäftigten
W. KÖNIG listet für die Stadt die Gewerbeanmeldungen von 1945 bis 1955 auf. Die später eingemeindeten Dörfer bleiben auch hier unberücksichtigt.
Danach ergaben sich rund 375 Gewerbeanmeldungen von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen.[8] Hiervon sind die 12 Betriebe abzuziehen, die schon dargestellt wurden. Auch bleiben die oben erwähnten zwei Gründungen (Firmen Regent und Süßwarenfabrik Kretschmann) unberücksichtigt, so dass es rund 360 Personen gab, die länger, oder auch nur kurzfristig, selbständig tätig waren.
Diese arbeiteten nur zum Teil allein. Sie beschäftigten zum Großteil noch weitere Personen, wie an einigen Beispielen gezeigt werden soll: So sind dem Verfasser dieser Zeilen die 11 Ärzte, Zahnärzte, Dentisten und Apotheker persönlich bekannt. Bei diesen kann von durchschnittlich drei Angestellten ausgegangen werden. Bei den sieben Gastwirten waren ebenfalls drei und bei den 34 Schneidern bzw. Schneiderinnen mindestens je eine Arbeitskraft zusätzlich beschäftigt. Es kann daher unterstellt werden, dass mindestens 140 zusätzliche, also insgesamt rund 500 Arbeitsplätze durch die Kleinbetriebe in Weißenburg geschaffen wurden.
Wie schwierig es war und heute noch ist, die exakte Zahl an gewerbetreibenden Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Mitteldeutschen festzustellen, weil selbst die amtlichen Unterlagen entweder fehlen oder unvollständig sind, soll an einigen wenigen Beispielen aufgezeigt werden:
In den Gewerbeanmeldungen von Heimatvertriebenen im Zeitraum 1945 bis 1955 in der Stadt Weißenburg[9] ist zum Beispiel Dr. Bajog nicht aufgeführt. Dieser ist wiederum bei FRANK[10] genannt und war dem Verfasser persönlich bekannt. Er ist später nach Eichstätt verzogen. Der aufgeführte Alfons Henes war Heimatvertriebener (er stammte aus Łódź in Polen), wurde aber nie als Flüchtling registriert, da er sich aus der US-amerikanischen Gefangenschaft heraus selbständig niedergelassen hat. Helene Scherb machte sich 1951 selbständig und fehlt in den amtlichen Unterlagen.
Nicht berücksichtigt werden konnten, wie schon dargestellt, die Gründungen nach 1955. Zudem haben die meisten Statistiken ab 1957/58 keine selbständige Aufzählung der in Frage kommenden Firmengründer mehr vorgenommen.
Fußnoten
- ↑ Bayern, Handbuch zur staatspolitischen Landeskunde von Helmut Hoffmann, Bayerische Landeszentrale für politische Bildung München
- ↑ Die bisher erschienenen wichtigsten Veröffentlichungen zu dem Thema Integration der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in Weißenburg nach 1945 sollen der Vollständigkeit hier vorab kurz genannt werden:
- KÖNIG, Walter: Flüchtlingslager Wülzburg, Ankunft und Integration der Heimatvertriebenen in Weißenburg. Weißenburg 1990.
- FRANK, Rainer: Die Heimatvertriebenen im Landkreis Weißenburg - Gunzenhausen, Ihre Aufnahme und Eingliederung und ihre Aufbauleistung, eine Dokumentation. Weißenburg 1991.
- ↑ Persönliche Notiz von Dr. Horst SPITSCHKA anlässlich eines Vortrages des damaligen bayerischen Wirtschaftsministers Dr. Fritz PIRKL beim Verband der heimatvertriebenen und mitteldeutschen Wirtschaft, gehalten am 13. Oktober 1972 in Nürnberg
- ↑ SPITSCHKA, Horst: Integration in Weißenburg. Erinnerung an die Jahre des Aufbaus, Frontenhausen 2009, S. 4
- ↑ Auskunft von Gustav MÖDL, Gymnasiallehrer und Stadtheimatpfleger von Weißenburg
- ↑ Auskunft Friedrich SCHÄFER stammt aus Sonneberg in Thg. und war jahrelang Leiter des Weißenburger Volksbildungswerks
- ↑ Auskunft Gustav MÖDL, nach dem Archiv des Gymnasiums Weißenburg)
- ↑ KÖNIG, Walter, s. o., S. 169
- ↑ KÖNIG, Walter, s. o. S. 172 ff
- ↑ FRANK, Rainer, s. o. , S. 130